Jahresgabe

Drüben (...the line between...)

Reisch, Josefine

Josefine Reisch interessieren in ihrer künstlerischen Praxis Darstellungskonventionen von Selbstbildnissen in verschiedenen zeitlichen und ideologischen Zusammenhängen. Aus feministischer Perspektive untersucht sie die machtpolitischen, patriarchalen Implikationen der Darstellung, wobei sie in den entstehenden Malereien, Installationen und Textilarbeiten unter anderem Bezüge aus Renaissance und Gegenwart, Literatur und Pop-Kultur collagiert.

In der Serie It’s very difficult to keep the line between the past and the present. Do you know what I mean? (2020–fortlaufend) greift Josefine Reisch die spezifische Tradition von Erinnerungstüchern auf, die in der DDR anlässlich militärischer Würdigungen, Sportereignissen, Jugendkongressen oder der Eröffnung von Mehrzweckhallen produziert und verteilt wurden. In einer Kombination von Siebdruck und Radierung überlagern sich in den drei für den Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen ausgewählten Seidentüchern Zitate der Erinnerungstücher und Filmstills von Darstellerinnen verschiedener Auflagen des US-amerikanischen Epos A Star Is Born sowie ein Familienfoto der Großmutter der Künstlerin. Auf diese Weise beginnen sich verschiedene Referenzsysteme und konkurrierende politische und private Erzählungen mit ihren jeweils ganz eigenen Riten der Selbstvergewisserung und (stereotypen) weiblichen Rollenbildern zu mischen. Es wird das Terrain zwischen kapitalistischem Hyper-Individualismus à la American Dream und dem zelebrierten sozialistischen Kollektivkörper, aber auch das eigene Selbstverständnis als Künstlerin, das beide Einflusssphären geprägt haben, ausgelotet. (Nele Kaczmarek)